Mein Klangschiff in andere Welten

Die nicht alltägliche Wirklichkeit und die Reise in diese Welten außerhalb des rationalen Verstandes sind Themen, die mich seit Kindesalter faszinieren. Diese Welten zu entdecken und zu erforschen war der treibende Motor meines Studiums in Berlin und Mexiko. Als ich im März 2019 meine Masterarbeit abgab, stand eine lang ersehnte Reise an: ich wollte ein Instrument bauen, das sich diesen Themenkomplexen nonverbal und klangvoll nähert und damit Menschen eine nachhaltige, innere Reise ermöglicht.  Auf diesen nicht alltäglichen Klangpfad möchte ich euch in dem nachfolgenden Blog Eintrag mitnehmen und euch das Klangschiff vorstellen: Ich erzähle, wie es zu mir gefunden hat, wie wir es gebaut haben und – am wichtigsten – wie es wirkt.

Am Anfang war die (Selbst-) Erfahrung: meine erste Begegnung mit dem Klangschiff

Im Sommer 2017 war ich auf einem Festival in Wien eingeladen, Rituale und Workshops rund um Klang zu teilen. Nach meinem Auftritt machte ich mich selbst auf Entdeckungstour über das Gelände. Dabei traf ich eine Frau, die an unserem Ritual teilgenommen hatte und mich herzlich in ihre Jurte einlud. Ohne genau zu wissen, was mich dort erwarten würde, folgte ich ihr in den gemütlichen Raum, in dessen Zentrum ein beeindruckendes Instrument stand.

Neugierig betrachtete ich es: eine Massageliege aus Holz, unter der ein Monochord gespannt war, das sich über die gesamte Liegefläche erstreckte. Ohne viel zu überlegen, legte ich mich darauf, schloss die Augen und atmete tief durch. Die Therapeutin begann, ihr Instrument zu spielen. Mein Atem wurde ruhiger und tiefer, während die Klänge direkt durch das Holz in meinen Körper zu vibrieren schienen.

Noch nie zuvor hatte ich von einem therapeutischen Instrument ein so unmittelbar physisches Klangerlebnis erfahren. Während mein Körper tief in den Klängen verankert war, öffnete sich mein Geist für ein inneres Bild. Es war kein Abdriften vom präsenten Moment, sondern eine Vision, die direkt vom Klang getragen wurde. Es fühlte sich an, als würde ich aus der rationalen Gedankenwelt hinausgetragen werden. Vor meinem inneren Auge sah ich mich auf einem Schiff, das sanft auf einem unendlichen Ozean trieb. Das grenzenlose Blau, die weichen Bewegungen des Wassers – ich konnte sie nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Ein befreiendes Gefühl der Entgrenzung breitete sich in mir aus.

Diese Momente, in denen physische und gedankliche Begrenzungen verschwinden und eine neue innere Weite spürbar wird, sind wahre Geschenke. Sie machen oft erst sichtbar, wie eng es zuvor war. Ich war tief berührt – fast transformiert, könnte man sagen. Nach dieser Erfahrung war mir klar: Ich wollte ein Instrument bauen, das eine ähnliche Erfahrung ermöglicht. Nicht nur eine Klangliege, sondern ein Klangschiff, das Menschen auf eine Reise in den Klangozean mitnimmt.


Meine Arbeit mit dem Klangschiff und seine therapeutische Wirkung

Der Name MONOchord leitet sich von der besonderen Stimmung des Instruments ab: Alle Saiten sind auf denselben Ton, in diesem Fall ein Cis, gestimmt. Doch da es unmöglich ist, dass alle Saiten exakt denselben Klang erzeugen, entstehen feine Unterschiede.

Diese minimalen Differenzen formen den außergewöhnlichen, fast außerweltlichen Klang des Monochords. Klangwellen begegnen uns – gewaltig und dynamisch, voller Überlagerungen und Interferenzen schwebender Töne. Sie erschaffen die Mehrdimensionalität, die das Hörerlebnis so einzigartig macht.

Einer Legende nach war es Pythagoras, der das Teilungsverhältnis der Saiten entdeckte. In der Antike wurde das Monochord daher nicht nur als Instrument, sondern auch als Werkzeug genutzt, um physikalische Gesetzmäßigkeiten zu demonstrieren.

Im Gegensatz zu einem Klavier, bei dem der Klang vorhersehbar ist, weil die Klaviatur eine präzise Tonabfolge liefert, ist der Klang des Monochords unvorhersehbar. Die Schwingungen entwickeln sich wie ein dynamischer Prozess – die Klänge gebären sich ständig neu. Zwar bleiben die Klangfarben vertraut und nachvollziehbar, doch die Töne sind lebendig: Sie begegnen, verweben sich ineinander, verstärken oder lösen sich wieder. Der Obertonreichtum des Monochords ist enorm: Es entstehen oft Klänge im Raum, die so vielschichtig und fremd erscheinen, dass sie wie aus einer anderen Welt wirken.

Manchmal singe ich zusätzlich in den Resonanzkörper hinein, im Einklang mit den Obertönen des Instruments. Für die liegende Person auf dem Klangschiff verschwimmen dann die Grenzen: Es ist kaum zu unterscheiden, was vom Instrument erzeugt und was gesungen wird. Dieser Klang kann den Eindruck erwecken, als würde ein unsichtbarer Chor um einen herum singen. Das ist für mich die wahre Faszination dieses Instruments: die Möglichkeit, jenen unsichtbaren Anteilen der Wirklichkeit zu begegnen.

Ich bereite Klient:innen, die zum ersten Mal mit diesen Klängen in Kontakt kommen, oft darauf vor. Der Klang des Monochords vereint Licht und Schatten in sich – er geht tief. Wie viele „archaische“ Instrumente berührt er innere Bereiche, die im schnellen und oberflächlichen Alltag der modernen Welt oft verborgen bleiben. Doch er kann noch tiefer wirken: Solche Instrumente erreichen Teile in uns, die älter sind als wir selbst, und eröffnen Zugänge zu einer menschlichen Erfahrung, die über das Hier und Jetzt hinausgeht.

Das Monochord in der Klangtherapie

Das Monochord wird in der Therapie vielseitig eingesetzt und ist auch als Körpertambura oder Körpermonochord bekannt. Patient:innen können sich darauf legen oder setzen, und kleinere Versionen des Instruments werden direkt auf den Körper aufgelegt. In der Charité Berlin findet das Monochord sogar in der Neonatologie Anwendung: Eine Klangtherapeutin besuchte einmal wöchentlich meine Freundin und ihre Zwillinge und spielte unter anderem ein kleines Monochord sanft für die Frühgeborenen.

Der beruhigende Klang wirkt sich positiv auf die Frühchen aus, indem er ihnen hilft, die technischen Geräusche der medizinischen Geräte auszublenden. Auf den Monitoren der angeschlossenen Geräte konnte man deutlich beobachten, wie die Babys sich beruhigten und ihre Werte stabilisierten.

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Das Bild zeigt einen Klangbaum, ein aufrecht stehendes Monochord mit 27 Saiten. Mein Klangschiff ist noch größer und verfügt über 39 Saiten.

In der Schmerz- und Traumatherapie ist das Monochord ein bewährter Begleiter. Auf dem Klangschiff liegend, umhüllt der Klang den oder die Liegende*n wie ein schützender Kokon. Für manche fühlt sich die Erfahrung an wie eine Begegnung mit dem Element des Windes. Für mich ist es eine Symbiose aus Wind und Wasser – eine harmonische Einheit dieser Elemente.

Man wird immersiv (vom lateinischen immergere = eintauchen) in den Klang eingehüllt und taucht in einen Klangtunnel ein. Dieser Effekt erleichtert es ungemein, den Kopf loszulassen und vom Denken ins Fühlen zu kommen. Der Klang vibriert durch den Körper und ermöglicht den Eintritt in einen Zustand tiefer Entspannung.

Klang bewegt sich auf intelligente Weise durch den Körper und findet die Punkte der Resistenz – dort, wo es nicht fließt. Genau an diesen Stellen kann der Klang eine besonders transformative Wirkung entfalten, indem er hilft, somatische und emotionale Blockaden sichtbar zu machen und sie aufzulösen.

Das Klangschiff in Zeiten des Übergangs

Der von mir gewählte Name Klangschiff verspricht Bewegung: ein Schiff das nicht fließt, erfüllt seinen Zweck nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Klangschiff ein wunderbarer Begleiter für Lebensübergänge ist. Dazu gehören die großen Momente des Übergangs – der Eintritt ins Leben (wie in der Neonatologie) und auch das Austreten aus dem Diesseits, wo es im palliativen Kontext Anwendung findet.

Doch auch kleinere Lebensübergänge, liminale Phasen und transformative Prozesse profitieren von der unterstützenden Wirkung des Klangschiffs. Es lädt dazu ein, den rationalen Geist loszulassen und sich vom Klang tragen zu lassen – schwebend, fließend, und vorwärts bewegt durch den Übergang.nDarüber hinaus zeigt sich das Klangschiff als kraftvolle Unterstützung bei der Stärkung des Immunsystems und der Aktivierung sowie Förderung der Selbstheilungskräfte.

DER BAU MEINES KLANGSCHIFFS

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Zwei Jahre später war es soweit: Ein neuer Lebensabschnitt begann für mich. Zurück aus Indien, bis in letzter Minute vor Abgabe an meinen Ritualtheorien der Masterarbeit feilend, überließ ich diese am 18. März 2019 dem prüfenden Auge der philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin.

Danach hielt ich ein Frauenretreat, das tiefen Einblick in die Ritualtheorien des vergangenen Jahrhunderts bot und angewandte neue Wege aufzeigte. Direkt nach dem Frauenretreat war es soweit, und meine Reise stand an. Ich hatte bereits vor zwei Jahren Kontakt zu einem Instrumentenbauer aufgenommen, der mich nun empfangen sollte. Ich fuhr durch die grünen und mystischen Wälder Tschechiens bis in ein träumerisches Dorf in Österreich.

Hier sollte ich nun, in dem kleinen, kalten Werkstattkeller, ausgestattet mit Werkzeug und Holz, die nächsten Tage verbringen und unter Anleitung mein Klangschiff bauen. Stundenlanges Schleifen, Schrauben und Feilen wurde zur meditativen Praxis und gab die Möglichkeit, dem Instrument zu begegnen.

Eingeölt habe ich den Klangkörper mit einem Propolisöl, das dem Holz nicht nur die Honigfarbe verlieh, sondern es auch zu beleben schien. Zu einem Instrument wurde das Holzkonstrukt jedoch erst, als wir die 39 Saiten aufzogen: der letzte Schritt in diesem Prozess. Dabei war Fingerspitzengefühl angebracht. Es fiel mir sichtlich schwer, die Saiten entsprechend aufzuziehen, ohne sie zu verbiegen oder zu reißen und dennoch genug Spannung aufzubauen. Doch mit etwas Übung und Hilfe gelang es. Mit einer Blockflöte gaben wir den Saiten ihre Stimmung.

 
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Der erste Lebenshauch

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Der große Moment des ersten Anspielens stand nun bevor. Meine Klangbau-Freunde nahmen Platz ein. Zusammen fieberten wir dem Moment entgegen, der Klangfarbe, der Seele des Instruments zu begegnen. Ich spielte lediglich die Saiten und erzeugte somit den Klang. Gleichzeitig beobachtete ich was passierte: es schien als würde sich das Instrument nun zum Leben erwecken. Es zeigte seinen Charakter, seine klangliche Unberechenbarkeit, seine Stimme und Kraft. Die feinen Töne hauchten über den Klangkörper. Von nun an war der Korpus ein Klangschiff, getragen von der eigenen Resonanz und bereit, in unentdeckte Meere zu ziehen.

Mit dem Gefühl, ein Zauberstück erschaffen zu haben, verließ ich die Klangwerkstatt und fuhr weiter durch die Berge zum Frühlings-Frauenretreat, den ich mit meiner Kollegin hielt und die Teilnehmerinnen direkt in den Genuss dieser Erfahrung bringen konnte.

Das Klangschiff hat nun seinen Platz in Berlin und schon viele Menschen mit auf die Reise genommen.


Einzelsitzungen und Gruppen Immersionen

Wenn du selbst in den Genuss dieser Arbeit kommen magst, kannst du mich sehr gern für eine Einzelsitzung kontaktieren. Schreibe mir eine Mail bei Interesse und wir vereinbaren einen Termin. Für ganz bestimmte Anlässe ist es möglich, das Klangschiff mit an einen externen Ort zu bringen. Schreibe mir gern eine Mail an info@alisareimer.com

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Die Monochord Sonata

Das Klangschiff hat sich mit meinem Klavier vereint und es ist eine 18-minütige Monochord Sonata entstanden, die ich zusammen mit Temple Haze aufgenommen habe. Die darin vorkommenden Instrumente sind mir beide wichtige Begleiter. Das Schimmel Klavier kam in 2015, nach meinem ersten abgeschlossenen Studium zu mir – ebenso wie beim Klangschiff suchte ich nach einem Instrument um die viele geistige Arbeit über die Hände in Kontakt mit Klang zu bringen. Nachdem ich über ein Jahr lang die Berliner Klavierstuben nach der passenden Seelenklaviatur durchsucht habe, fand ich dieses besondere Stück, das seither (!) seine Stimmung nicht verloren hat (normalerweise muss ein Klavier jährlich nachgestimmt werden). Es steht in unserem Studio neben dem Klangschiff und ihr seid herzlich eingeladen, die Freundschaft dieser Instrumente hier zu hören:


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