Meine Visionssuche in den Anden Ecuadors

Einer der Visionsbäume in Zurachpamba.

Einer der Visionsbäume in Zurachpamba.

[ T E I L 1 ] Die Intention meiner Reise und dieses Reiseberichts

[Hier kannst du diesen Artikel als Podcast hören]

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Hola Familia,

ich schreibe euch einen Reisebericht aus dem Nachtbus entlang des Äquators. Ich möchte euch mit auf eine Reise nehmen: auf den Visionsberg in Zurachpamba. Dem mystischen Zuhause von Taita Juan und Sabine, inmitten scheinbar unendlicher Weite der Anden. Hier durfte ich meine Visionssuche abhalten. Die Tradition gibt vor: vier Tage und Nächte ohne Essen und Trinken, allein in der Natur.
Insgesamt zehn Tage habe ich bei Taita Juan und Sabine verbracht: Menschen, die als Schamanen bezeichnet werden, auch wenn sie sich selbst diesen Titel nicht zuschreiben. Sie teilen ihr Wissen, bewahren Traditionen und sehen sich im Dienst Pachamamas.

Die letzten Jahre habe ich intensiv über indigene und präkolumbine Kosmovision im wissenschaftlichen Kontext geforscht. Nach Abschluss des Masterstudiums im Oktober sollte es nun im Januar an der Zeit sein, das Erforschte wieder selbst in Erfahrung zu bringen. Ohne geistige Akrobatik zu betreiben, lasse ich das Erlebte frei in diesen Text fließen. Zehn Stunden Nachtbus zwischen Cuenca und Quito befinde ich mich wie in einem luftleeren Raum, was das Aufnehmen von neuen Eindrücken betrifft. So habe ich das, was mir in Zurachpamba zuteil wurde geistig noch nicht ganz verlassen oder neue Erfahrungen drohen das Erlebte zu überdecken. Das Nachfolgende ist von dem freien Bedürfnis des Teilens initiiert, ohne einen wissenschaftlichen Anspruch an die Wiedergabe zu erheben.

Meine Reise an den Äquator

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Ich bin nach Ecuador gereist, um einen Mondzyklus lang dem Studieren und Erfahren von andinen und amazonischen Heilmethoden, indigenen Praktiken, schamanischem Heilwissen und innerer Arbeit zu widmen. Einen Teil davon machte die Visionssuche aus. Der Impuls kam in gewisser Weise von Altana, einer traditionellen Schamanin aus Sibirien. Ich traf sie, als sie im Oktober für ein paar Tage in Berlin war. Ich kam zu dem Zeitpunkt mit einigen großen Fragen zu ihr. Sie saß mir gelassen gegenüber, kämmte ihr langes Haar während sie mir und meiner Freundin die übersetzte zuhörte. Sie riet mir auf Visionssuche zu gehen und vor allem, mir schamanische Lehrer zu suchen die mich in verschiedenen Techniken unterweisen. Nach dem Treffen rief ich direkt meinen Freund Fernando an. Ich wusste, dass er Anfang 2020 eine Reise ins Herz Ecuadors organisiert. Er sagte mir, dass die Gruppe von 10 Teilnehmern bereits voll sei, zumal es eine klare Aufteilung von männlichen und weiblichen Teilnehmern gebe, um die energetische Balance zu halten. Kurze Zeit später rief er mich verwundert und freudig zurück: „Alisa, ich weiß nicht was für Hexerei du betrieben hast, aber es ist ein Platz frei geworden der trotz der Warteliste genau auf dich fällt.“

Zu dem Zeitpunkt konnte ich das Ausmaß an Wunder, Wissen und Weisheit mit dem ich hier in Kontakt treten würde, noch nicht ermessen. Doch ich war bereits im Vertrauen, dass es das ist, wonach mein Herz sich am meisten sehnt und was meinem Weg des Lernens in diesem Augenblick entspricht. Dank Fernando und seiner Familie sollten wir in Kontakt mit den Curanderos (Heilern) und Wissensträgern Ecuadors und Perus kommen, die sie nach jahrzehntelanger Erfahrung als die richtigen für diese Arbeit auswählten. Ausschnitte dessen teile ich im Folgenden mit euch. Es gibt so viel mehr, was ich mit euch teilen möchte, was jedoch den Rahmen dieses Berichts sprengen würde. Es werden weitere Teile folgen und am besten ist es natürlich, einem meiner Projekte beizuwohnen, in denen ich stets von meinen Erfahrungen erzähle und diese in Ritualen mit euch teile. Auf dass ihr es selbst erfahren und mir alle Fragen stellen könnt, die euch auf dem Herzen liegen.

“Diese tiefen, mystischen Erlebnisse in Worte zu fassen ist schwierig und umso poetischer und tiefschichtiger müssten Beschreibungen dessen dienlich werden, was nicht in Worte zu fassen ist.”

Unsere Reise in die drei Pacha´s der Inka Mythologie

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In scheinbar allen indigenen und als schamanisch bezeichneten Weltanschauungen lässt sich die Vorstellung über eine Dreiteilung des Kosmos finden. In sibirischen Kontexten gibt es teilweise noch weitere Welten. Die ersten Tage unserer Reise tauchten wir in die kay pacha, die mittlere Welt der Inka Mythologie, ein. Mama Mila und ihre Tochter Marta brachten Heilkräuter von ihrem Stück Land aus der indigenen Comunidad Cotacachi zu uns nach Tumbaco (bei Quito, der Hauptstadt Ecuadors). Gespannt beobachtete ich die synkretistischen Heilmethoden (synkretistisch*= Vereinigung christlicher und indigener Aspekte) wie ich sie bereits aus indigenen Gemeinschaften Mexikos kenne. Mehr über die Arbeit mit den zwei Heilfrauen und Hebammen werde ich noch teilen, da ich sie ausführlich über ihre Arbeit und ihren Ansatz interviewt habe. 

Die Mythologie unserer eigenen Reise lud uns im Anschluss ein, in die ukhu pacha, der Unterwelt abzutauchen. Pilar, Medizinfrau aus Ecuador, führte uns dazu mit Bestimmtheit durch die Nächte, Zeremonien und Schwitzhütten (Temazcales). Allein über die Erfahrungen und Einsichten, welche mir durch ihre Arbeit zuteil wurden, könnte ich ein kleines Buch schreiben. Diese tiefen, mystischen Erlebnisse in Worte zu fassen ist schwierig und umso poetischer und tiefschichtiger müssten Beschreibungen dessen dienlich werden, was nicht in Worte zu fassen ist. Doch so wie es auf der Reise nach der Arbeit mit Pilar in Richtung Zurachpamba ging, werde ich mit euch auch in diesem Text nun gezielt Kurs gen Visionsberg einschlagen. Nun stand die große Reise zu Taita Juan und Sabine in die Oberwelt (hanan pacha) an, über die ich euch berichten möchte.

[Teil 2] Angekommen in der Hanan Pacha

Nach den Ritualen und Vorbereitungen machten wir uns von Tumbaco im Nachtbus auf die Reise nach Cuenca. Von dort aus ging es weiter nach Zurachpamba. 10 Tage sollte unsere kleine Gruppe bei Taita Juan und Sabine verbringen. Das scheinbar endlose Panorama dieses Kraftortes zeichnet sich aus grün bewachsenen Bergen, Tälern und aufsteigendem Nebel. Inmitten dieses wilden Naturidylls befinden sich das Wohnhaus, die Maloca (das Ritualhaus), der Temazcal (die Schwitzhütte) und die Wildtierauffangstation. Hier empfangen sie Visionssuchende aus der ganzen Welt. Über 500 Hektar Land beschützt die Familie von Taita Juan seit beinahe 400 Jahren. Ohne Strom, ohne Internet. Abgeschieden von Allem und zugleich verbunden mit Allem, könnte man sagen. Das Anwesen mit den verschiedenen, kleinen Gebäuden befindet sich auf einem Bergkamm. Am Ende des Ritualplatzes geht es steil hinab. Baumstämme heben sich aus dieser Tiefe empor und lassen ihre Baumkronen in ein mystisches Rundell um diesen Kraftort gipfeln. Das Wetter ist mal sonnig und warm, dann wieder feucht. Es regnet, wird kalt. Ein Wind türmt sich zum Sturm. Die Sonne geht unter und nur eine flackernde Kerze bescheint die Lehmwände das Häuschens, in dem wir schlafen. Alle zusammen teilen wir uns das kleine Haus. Meine KumpanInnen sind mir bereits sehr ans Herz gewachsen. Wir sind sehr unterschiedlich und dennoch bereits zu einem kleinen Organismus verwoben, der sich aus gegenseitigem Respekt und support zusammen hält.

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La Buscadora – meine Visionssuche

Die Visionssuche ist ein Übergangsritual, welches in verschiedenen Kulturen existiert. Die Arbeit von Taita Juan und Sabine orientiert sich an der Tradition der Lakota Nordamerikas. Fernando berichtete mir, dass vor ca. 30 Jahren 7 Wissensträger Mexikos nach Südamerika gesandt wurden, um die Medizin der Visionssuche und den Halbmondaltar des Temazcales in den Süden des Kontinents zu tragen. Der erste Platz an dem sie ankamen um diese Traditionen zu teilen, sollte genau hier in Zurachpamba gewesen sein. Somit fand hier die erste „offizielle“ Visionssuche statt, berichtet Fernando. Hier wurden sie von Taita Juans Vater, Taita Lejo, damals aufgenommen. Ein kraftvoller Ort. Die Visionssuche wurde sicherlich vereinzelt auch an anderen Orten Südamerikas praktiziert, doch hat sich diese Arbeit seit dem Besuch der Wissensträger in Zurachpamba in Südamerika stark ausgebreitet. Die Visionssuche ist eine Art von „Traumfasten“: vier Nächte und über vier Tage verbringt man in der Natur, ohne jegliche Ablenkung. Ohne Essen und ohne Trinken. Diese Arbeit gibt einem die Möglichkeit, eine Lebensphase hinter sich zu lassen und in einen neuen Lebenszyklus einzutreten oder jedwede Art von Übergang performativ zu erleben. Die Ontologie dieses Rituals schlägt kräftige Wurzeln: nicht nur kulturhistorisch trägt es eine beachtliche, chronologische Tiefe in sich, da diese Art von Übergangsritual womöglich seit tausenden von Jahren praktiziert wird.

In den vergangenen Jahren habe ich mich intensiv mit Ritualforschung im wissenschaftlichen Kontext beschäftigt. Was ich als stimmig für mich empfand, habe ich seither in meine holistische Arbeit inkorporiert. Die Ritualstruktur der Visionssuche in ihrer Gesamtheit ist an Symbolgehalt sehr komplex und multidimensional. Gern würde ich darauf tiefer eingehen, aber auch dies darf an anderer Stelle und besser noch in vivo passieren.

Into the Wild

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Die Vorbereitung und der Beginn der Visionssuche waren ebenso wild wie die Natur, in deren Obhut wir uns für diese Zeit gaben. Wir liefen durch die Berge um ein paar der Visionsbäume kennen zu lernen und uns mit dem Ort zu verbinden. Manchmal nahm ich mir auch meine Trommel und setzte mich an einen stillen Ort um Lieder einzustudieren und zu spüren, wo ich mich gerade eigentlich befinde auf der Welt. Das geht am Besten allein. Am Tag zuvor fasteten wir ab dem Mittag und am Abend begann eine Zeremonie. Wir sangen und tanzten die ganze Nacht. Freude, Gemeinschaft und Kraft. Sobald ich müde wurde und einzuschlafen drohte, gab mir Fernando die Trommeln in die Hand und ich sang. Die neu einstudierten Lieder konnte ich nun vor dem Feuer teilen. So blieb ich wach und in der Praxis.

„Aus diesen Momenten und Anblicken werden Mythen geboren“, dachte ich und beobachtete die Synchronien aus Bewegung, Farbe und Licht.

Im Morgennebel

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Am frühen Morgen traten wir aus der Maloca zum Feuer hinaus. Der aufsteigende Morgennebel, getränkt vom ersten blauen Tageslicht, zeichnete die Kulisse einer Unterwasserwelt. Es schien, als würden wir uns am Grunde des Meeresbodens befinden. Wie Unterwassergewächse in der Strömung wiegen, so tanzten die Äste der umliegenden Bäume scheinbar im Rhythmus des Trommelschlags. „Aus diesen Momenten und Anblicken werden Mythen geboren“, dachte ich und beobachtete die Synchronien aus Bewegung, Farbe und Licht. Es würde immer wieder Momente geben, in denen ich sprachlos die Poesie der Andennatur bestaunte und diese Medizin tief in mein Herz eindringen ließ.

Im Bauch der Erdmutter

Um nach der zeremoniellen Feier wieder den erforderlichen Fokus aufzunehmen und Kräfte zu aktivieren, zentrierte uns eine beachtliche Portion Rapé (eine Art Schnupftabak ursprünglich aus dem Amazonas, dieses wird über einen Applikator in die Nase gepustet. Es klärt und zentriert) aus zurück in unsere Körpermitte. Dieses Rapé hatten Taita Juan und Sabine gerade vom Sonnentanz mitgebracht. 

Der nächste Temazcal stand an. Ich zog mein mexikanisches Leinenkleid an und verschwand im Bauch der Erdmutter. Die Prozedur nahm ihre Zeit. Und zwar solange, bis jede*r Einzelne*r von uns sein/ihr Gebet für diese Reise gesprochen hatte. Auf dem Berg würden wir weiter beten. Dabei ist ein Beten gemeint, das sich für mich jeglicher Religiosität entzieht und ein in Kontakt treten mit den Mächten der Natur und dem großen Mysterium ermöglicht. Taita Juan und Sabine brachten uns nahe, wie wichtig es für dieses Land ist, dass Menschen auf dem Rücken dieser Berge beten würden. Die Allbeseeltheit der Natur ist hier wie in allen „schamanischen Kosmovisionen“ Grundsatz der Weltanschauung: alles ist miteinander verbunden, ist lebendig und wirkt aufeinander ein. Nichts entzieht sich diesem kosmischen Ganzen und seinen Interdependenzen.

Es schenkte Vertrauen von Sabine zu hören, dass der Berg sich auf uns Visionssuchenden freue und wir uns ganz in seine Obhut und seinen Schutz begeben können. Dieser Ansatz mag dem einen oder anderen rationalen Geist befremdlich erscheinen und nicht jeder wird es mit dem eigenen Herzen sogleich verstehen können. Auch nach vielen Jahren akademischen Studiums und meinen Bestrebungen gegen die Animismus Kritik, die noch immer in vielen wissenschaftlichen Diskursen vorherrscht, kann ich sagen, dass ich viel zu oft die Allbeseeltheit der Dinge selbst erlebt habe, um sie bestreiten zu können. Aber das ist erneut ein Thema, das an anderer Stelle weiter ausgeführt werden möchte. Nun zurück in den heißen Dampf des Temazcals der uns auf die Visionssuche vorbereitete. In dem Wissen, dass die Gebete und Gesänge die wir hier teilten, vorerst die letzten gesprochenen Worte sein würden, flüsterten wir uns hier und da noch gegenseitig einen Schutzspruch zu. Mit dem Verlassen des Temazcals traten wir in das Schweigen ein.

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Letzte Speis und Trank

Ein erschöpftes sich in den Rasen legen und in den Himmel träumen, das wäre an dieser Stelle schön gewesen, doch nicht Teil unserer Agenda. Sogleich stand das Nächste an: Wasser trinken und zwar viel um die verlorene Flüssigkeit der letzten Stunden aufzufüllen und für die nächsten Tage etwas anzutrinken sozusagen. Erschöpft saß ich mit meinen 9 KumpanInnen am Tisch. Schweigend vor einem Teller Suppe. In diesem Moment lag etwas Melodramatisches, das sich in unseren ehrfürchtigen Blicken über die letzte Nahrung der nächsten Tage speiste. Ebenso war jedoch auch heitere Resignation zu spüren. Ein Lächeln, ein stilles und verwundertes „was mache ich hier gerade eigentlich?“ Alles Teil eines solchen Prozesses. 

Der Gedanke daran, die Zeit der Visionssuche über nichts zu trinken hatte mich in meiner Vorbereitung sehr beschäftigt. Schon seit Monaten habe ich verschiedene Rituale dem Wasser gewidmet: mit Altana, der sibirischen Schamanin, haben wir eine Wasserzeremonie für Berlin gemacht; zur Wintersonnenwende habe ich in der Schwitzhütte meine Gebete an das Wasser gerichtet und noch genussvoller und mehr Wasser getrunken als ohnehin schon.

Nach dem Essen hiefte ich mir mit vollem Wasserbauch den Backpack auf den Rücken und nahm die 7 Holzpfähle an denen meine Gebete befestigt waren unter den Arm. Schwer beladen wanderten wir auf den Visionsberg. Noch etwas entgrenzt und entrückt von den Verausgabungen der letzten Nacht liefen wir einen schmalen Trampelpfad entlang und wurden nach und nach auf dem Berg gepflanzt. An meinem zugeteilten Baum angekommen wurden die Holzpfähle um mich gesteckt. Bevor ich in meinem rituellen Raum eingeschlossen wurde, sah ich noch die Wildpferde unterhalb meines Visionsplatzes grasen. Es war ein junges Fohlen dabei. Wir hingen die 52 Tabakgebete (für 52 Wochen des Jahres) an den Pfählen auf. Tabak ist das Medium der Kommunikation innerhalb dieses Ansatzes. Es nimmt die Nachrichten auf und transportiert sie zum großen Geist. Ich habe schon oft mit Tabak gebetet und weiß über die Kraft dieser heiligen Pflanze. Jedes Tabaksäckchen war mit einem Gebet von mir gefüllt: für meine Familie, meine Liebsten, für die Missstände in der Welt, für meinen Weg und Herzensanliegen. Sie grenzten meinen Visionsplatz ein und sollten die Tage über meinen Raum halten.

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Raphael trägt die Palos und Tobacco Prayers vorheriger Visionssuchenden. Wir haben sie von den Bäumen mitgenommen um dort einige Tage später selbst Platz mit unseren Palos und Prayers einzunehmen.

Raphael trägt die Palos und Tobacco Prayers vorheriger Visionssuchenden. Wir haben sie von den Bäumen mitgenommen um dort einige Tage später selbst Platz mit unseren Palos und Prayers einzunehmen.

Sabine während eines Spaziergangs durch die Anden. Sie hat Kräuter für ihre medizinischen Destillate gesammelt.

Sabine während eines Spaziergangs durch die Anden. Sie hat Kräuter für ihre medizinischen Destillate gesammelt.

[ T E I L 3] Mein Visionsplatz

“Die (zeitlichen) Gesetzmäßigkeiten der Alltagswelt waren in diesem rituellen Vakuum außer Kraft gesetzt. Und dennoch möchte man den Faden der Zeit in der Visionssuche nicht ganz verlieren und die groben Schichten ihres Gewebes wahrnehmen. “

Mit Gesängen von Ilyari, Fernandos Schwester und begnadete Musikerin sowie Tabak und lieben Worten von Sabine wurde der Kreis um mich geschlossen. Gern hätte ich mich erstmal hingelegt und regeneriert. Doch dafür sollte noch keine Zeit sein. Angetrieben von dem Versprechen eines sich aufbäumenden Gewitters am Horizont, installierte ich eine komplexe Konstruktion, die mich vom Regen aus den verschiedenen Winden schützen sollte. Meine KumpanInnen hatten große und neue Planen abbekommen, manche sogar Zeltdächer. Ich war in dem flüchtigen Moment des Austeilens des Equipments in der Maloca gewesen und bekam ab, was übrig war: einen etwas ausgedienten Plastik Überbleibsel und zwei große Plastikverpackungen. Nun gut, ich werde es auch mit eingeschränktem Equipment hinkriegen, dachte ich mir. Wie erleichternd es ist, in der Akzeptanz und im Vertrauen zu sein. Für mehr war in dem Moment auch keine Kraft.

Je mehr ich mir meinen Platz ansah, bemerkte ich die beachtlich vielen Kuhfladen um mich herum. Ein paar schwere Steine für meine Konstruktionen wären praktisch gewesen. Doch weit und breit nur Kuhfladen. Ich erinnerte die Worte von Silvie. Sie war letztes Jahr schon zur Visionssuche hier und ich fragte sie, ob es etwas gäbe, das ich bedenken solle. Darauf antwortete sie mit einem Lächeln: „Wenn der Bulle auf dich zukommt, warte nicht, dass der große Geist dich rettet, sondern klettere auf den Baum.“ Nach dem Installieren der Plane war klar: ich werde einen Fluchtweg nach oben organisieren, denn meinen Ritualort durfte ich nicht verlassen. 

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Vorsichtig, um den Baum nicht zu schaden, ließ ich ihn Yoga machen und band einige der feinen und biegsamen mit Dornen übersäten Äste zusammen. So konnte ich, für den Fall der Fälle, in drei Schritten auf den Baum klettern. Falls der Bulle kommt, der Coyote oder die Schlange von der mir berichtet wurde, dass sie hochgiftig sei und hier auf dem Berg lebe. Auch wenn sie das letzte Mal vor Jahren gesehen wurde und wohl nicht vorbei kommen würde. Es ist schon erstaunlich, wie der Geist nach einem Funken Sicherheit sucht. Im Vertrauen zu sein ist eine Sache. Dieses Vertrauen mit Wissen und Selbstverantwortung zu verbinden erschien mir jedoch Teil meiner hiesigen Aufgabe.

Der Bulle kam auch vorbei. Doch war es vielmehr ein Halbstarker, der wehleidig nach seiner Mutter rief. Ich beobachtete ihn. Würden ihm seine Familienmitglieder an meinen Platz folgen? Ich wartete, doch sie kamen nicht. Die Geschichten der Tiere zu beobachten ist eine heilsame Praxis. Ich sah den Ameisen nach wie sie schwere Lasten trugen. „Wie tüchtig sie sind, und ich sitze hier nur“, dachte ich. All diese kleinen Tierchen und Insekten um mich herum hatten ihre Ambitionen, ihre Wege und Aufgaben, waren inmitten ihres „Tagesgeschäfts“ hier auf dem Berg und ich durfte sie einfach dabei beobachten und meine eigene Geschichte vergessen. Darum geht es. Aus dem eigenen Leben zu treten und zur Beobachterin zu werden. Die Schmetterlinge, die mich besuchten und meine Abgrenzungen des Ritualplatzes unbeachtet durchflogen, brachten mir die Erinnerung an Freiheit. Immer wieder trat ich in den Dialog mit den Tieren und der Natur.

Durch die Erzählungen von Sabine in den Tagen zuvor erhielten wir ein Verständnis darüber, den Wind und seine Wärme zu beobachten. Anhand dieser Parameter lernten wir einzuschätzen, wann das Kondor Paar, dass das Land von Taita Juan und Sabine bewohnt, Flug aufnehmen würde. Die Flugkünste des Kondors und seine majestätische Präsenz sind einzigartig und nicht ohne Grund wird er der König der Anden genannt. Er bewacht und betrohnt die hanan pacha. Von meinem Platz aus konnte ich das Kondor Paar mehrmals sehen.

Geborgen in der sacred time

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Tage und Nächte vergingen. Zeit verstrich und blieb stehen. Ein Mal dachte ich, es sei abends, aber es war wohl erst mittags. Erst Stunden später ertönten die Gesänge vom heiligen Feuer die sechs Uhr morgens und sechs Uhr abends markierten. An anderer Stelle verstrich die Zeit in sich verflüchtigender Schnelligkeit. Ich wusste, dass während der Visionssuche die sacred time walten würde. Eine Qualität von Zeit, die der des Alltags fern ist. In einem durchökonomisierten Alltagserleben neigen wir oft dazu, den Tag durch ein Mikromanagement minutiös durchzuplanen. Jede Minute, jeder Augenblick, jedes kurze auf etwas Warten wird mit einem Sinn beschwert, mit einer Aufgabe oder Ablenkung. Entgegen diesem Habitus saß ich in der Zeit als wäre sie endlos. Die absolute Völlerei der Zeit. Ich ging nicht mit ihr, nicht gegen sie. Sie schien weder für noch gegen mich zu verstreichen. Die Redewendung „ich habe die Zeit vergessen“ schien hier auf dem Berg entgegengesetzt zu wirken. Es kam mir vor, als hätte die Zeit mich vergessen. Während der Visionssuche bewegte ich mich nicht mehr durch den Raum und das Raum-Zeit Kontinuum kam zum Stillstand.

Die (zeitlichen) Gesetzmäßigkeiten der Alltagswelt waren in diesem rituellen Vakuum außer Kraft gesetzt. Und dennoch möchte man den Faden der Zeit in der Visionssuche nicht ganz verlieren und die groben Schichten ihres Gewebes wahrnehmen. Manch eine*r legt Steine aus, um die Tage der Suche zu zählen. Das wollte ich auch. Doch gab es an meinem Platz keine Steine. Diese saßen üppig in der Sonne außerhalb meines Ritualplatzes und grinsten mir frech entgegen. Ich verließ meinen Ort jedoch nicht und wollte ebenso wenig die Kuhfladen zur Messung meiner heiligen Zeit nutzen (wobei Kuhfladen in Indien wiederum das heilige Feuer nähren, aber auch das ist eine andere Geschichte). So knotete ich ein kleines Stöckchen für jeden verstrichenen Tag in die Schnur, die meine Gebete hielt. Wenn ich aufrecht saß und über die Berge schaute, war meine Zeitmessung direkt vor mir sichtbar und dennoch verschmelzten die kleinen Stöckchen mit dem Blick in den Horizont.

The sacred price

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Ebenso wie ich wusste, dass ich mit der sacred time in Kontakt kommen werde, war ich darauf eingestellt, einen sacred price für meine Vision zu zahlen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich auf eine extreme Expedition gehe: körperlich, mythisch und mental. Diese Art von Reisen, die nur wenige im eigenen Kreis bereits durchlaufen sind und für die es keine Bedienungsanleitung gibt. Die Vorbereitungszeit glich einer kleinen Heldenreise. Intuitiv würde ich an Leute geraten, die bereits auf Visionssuche ohne Wasser gewesen waren und mir essentielle Tipps gaben. Einen teile ich hier mit euch: der Kieselstein. Ein klitzekleiner, vom Fluss glatt polierter Kieselstein sollte ein zentrales Hilfsmittel sein. Wie soll das gehen? Probiere einen Moment nachzudenken, wie dieser Stein ein Lebensretter sein soll? Ich verrate es dir. Wann immer mein Mund sich sehr trocken anfühlte, nahm ich den kleinen Flussstein und legte ihn unter meine Zunge. Dort bewegte er sich und durch die minimale Reibung im Mund wurde dieser wieder feucht. Wann immer also der Durst einen überkommt und der Geist droht verrückt zu spielen, kann dieses kleine Zaubermittel Großes bewirken.

Etwas verschroben in eine Yin Praxis sinkend

Mein Visionsplatz war etwas abschüssig, um nicht zu sagen ziemlich schief. Mehrere Tage schief zu liegen und halbschräg zu stehen trägt zu etwas Verschrobenheit bei. Eines nachts schreckte ich auf und konnte meine Beine nicht bewegen. So etwas hatte ich noch nie erlebt: beide Beine waren von den Zehenspitzen bis zur Hüfte eingeschlafen. Sicherlich aufgrund meiner Schieflage. Das Gefühl nicht aufstehen, mich nicht bewegen zu können mitten in der Nacht auf mich allein gestellt, war ein gezielter Auslöser für eine kurze Panik, die aber mit der Rückkehr der Empfindung in den Beinen genauso schnell ging, wie sie gekommen war. Zugute kam die Abschüssigkeit hingegen einer ausgiebigen Yin Yoga Praxis. Aufgrund des Wassermangels war klar, dass für sämtliche Aktivitäten außerhalb der Notwendigkeit keine Kraft da sein würde. Weder in der Sonne sitzen, noch Sonnengrüße oder Tänze am Ritualplatz. Yin Yoga ermöglichte es mir jedoch, tiefer in diese annehmende, auf das Wesentliche konzentrierte Körpererfahrung einzutauchen. Dank der Schieflage konnte ich gezielt mit der Schwerkraft arbeiten und tief in die Asanas sinken.  

Gehüllt in Nacht und Nebel

Die Nächte waren wunderschön. Nächte zuvor noch, als ich aus dem Temazcal trat und in Richtung des Visionsberges schaute, kamen schon einige Zweifel auf: „dort solle ich allein sitzen, in diesem ungeheuren Nebel, der die Sicht auf die Sterne und das Versprechen ihres Lichts verbirgt?“ Bei aller Natur – und Mystikliebe ist doch auch in mir die Konditionierung Nacht + allein in der Natur = Gefahr, wenn auch nur subliminal spürbar. Eine meiner Intentionen war es jedoch, mit Freude und Genuss in dieses dunkle Nichts zu tauchen. Immerhin sind die Dunkelheit und die Nacht weibliche Elemente und ich wusste, dass solange noch ein Funken Resistenz dagegen besteht, dies ein spannendes Arbeitsfeld für mich und das Thema Weiblichkeit darstellt.

Dies ist eine Zeichnung die Dagmar, Osteopathin und Yogini in unserer Gruppe, erstellt hat. Sie hat während der Reise ihre Passion des Zeichnens wieder aufgenommen und in verschiedenen Momenten in kürzester Zeit diese Skizzen erstellt. Das bin ich w…

Dies ist eine Zeichnung die Dagmar, Osteopathin und Yogini in unserer Gruppe, erstellt hat. Sie hat während der Reise ihre Passion des Zeichnens wieder aufgenommen und in verschiedenen Momenten in kürzester Zeit diese Skizzen erstellt. Das bin ich während ich Notizen in mein Tagebuch schreibe.

Zur Dämmerung zog der mystische Nebel auch in meiner Visionssuche auf. Dieser nahm alles in sich auf, sodass ich kaum die eigene Hand vor Augen sah. Es regnete viel. Manchmal die ganze Nacht durch. Ich war selbst erstaunt, dass die Plastikteile, die ich ineinander genäht hatte, dem Wind und Regen standhielten. In anderen Nächten war es still und gleichzeitig umso klangvoller. Die Dunkelheit und Abstinenz von jeglichen Lichtquellen außerhalb der Sterne sog alles in sich auf. Es sangen Frösche. Es plätscherte Wasser am nahegelegenen Bach und einige Tiere schienen meinen Ritualplatz zu umkreisen. Auch wenn ich sie nicht sah, ihre Präsenz war spürbar. So wie die meiner KumpanInnen. Wie wird es ihnen wohl gerade gehen? Schlafen sie? Wachen sie? Sind sie warm und beschützt, oder hat der Regen ihr Lager in ein Flussbett verwandelt? Fragen die erst Tage später im Austausch mit ihnen beantwortet werden sollten, wenn wir wieder aufeinander treffen und uns im Temazcal das Wort zurückgegeben werden würde.

Die Erschöpfung wiegte mich in visionäre Träume. Sie hielt mich warm in ihren Armen. Ließ mich in den Boden schmelzen und weicher werden. Es machte mir nichts aus, auf dem harten Boden zu schlafen. Vielmehr fühlte ich, wie er mich aufnahm und hielt. Diese Erschöpfung zu spüren, gab ihr gleichzeitig die Möglichkeit, aus meinem Körper zu treten. Es schien mir eine alte Erschöpfung zu sein. Noch aus meiner Zeit des Studiums, die mich sehr beansprucht hatte. Der Boden, der Berg, der Baum nahmen sich all meinen Themen schweigend an. Vielleicht war es deswegen, dass ich meine Tabakgebete im Wind baumeln ließ, in dem Wissen, dass sie gehört wurden und nun vielmehr Gebete für diesen Baum, diesen Berg und dieses Land aussendete. Ich, ich, ich. Das gab es für mich nicht viel auf dem Berg. Einige fragten mich später, ob man viel über das eigene Leben nachdenken würde. Ich tat es nicht. Ich beobachtete die Natur. Es war nichts Erzwungenes oder Artifizielles in der Erfahrung. Dafür war längst keine Kraft mehr übrig. Nichts zu trinken lässt den Körper ruhig werden. Der Aufmerksamkeitsstrom ist nicht mit dem alltäglichen zu vergleichen.

[T E I L 4] - Mein Weg zurück vom Berg

„Komm, komm zurück zu mir, lass mich nicht sterben. Ich bin doch gerade erst geboren. Zelebriere mich. Ich brauche dich. Jetzt.“

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Jeden Morgen wurde ich geweckt von dem fernen und lauten ertönen der Puputo (dem Muschelhorn). Unsere Hüter der Visionssuche: Fernando, seine Schwestern, Taita Juan und Sabine und einige Freunde fütterten das Heilige Feuer die gesamte Zeit über. Das Feuer würde niemals ausgehen solange wir auf dem Berg waren. Wann immer sie kochten, würden sie zuerst dem Feuer Speis und Trank überreichen, auf dass es uns auf der geistigen Ebene nähre. Nach dem Ertönen der Puputo folgten ihre Gesänge jeden Tag gegen sechs Uhr morgens und abends. Ihre Stimmen aus der Ferne zu hören glich stets einem kleinen Spektakel. Es war Freude und Nahrung zugleich. Am Morgen krabbelte ich aus meiner kleinen Konstruktion Richtung Osten und brachte der aufgehenden Sonne meine Gebete entgegen. Dann stand ich auf wackligen Beinen auf und näherte mich den Regentropfen, die an den Blätterspitzen meines Baumes hingen. Wie Perlen nahm ich sie auf meiner Zunge auf.

Getragen vom Gebet und gerufen von der Intention

Die Visionssuche war körperlich sehr anstrengend: der Hitze, dem Regen, dem Wind, der Kälte, der Isolation und der Stille und dem Mysterium ausgesetzt zu sein unter einer kleinen Plastikplane lediglich, erforderte ein starkes commitment und eine klare Intention. Dabei weder Essen noch Trinken aufzunehmen in 4 Nächten und Tagen (von Montag bis Freitag wohlgemerkt) lässt den Körper leer werden. In diese Leere tritt die Vision.

Ich habe es gut überstanden. Zum Ende hin bekam ich eine Blasenentzündung. Ich arbeitete mit Gebeten gegen den Schmerz. Dabei konnte ich wahrnehmen, wie die Medizin des Gebets half und der Schmerz zeitweilig geringer wurde. Und das auch ohne Wasseraufnahme. Doch als er auch in der Nacht nicht verschwand, besann ich mich am Morgen in Meditation. Ich rief mir meine Intention ins Bewusstsein. Diese war, dass ich in einen neuen Lebensabschnitt mit Kraft und Freude eintreten möchte. Nach über acht Jahren Vollzeitstudium und nebenbei Vollzeitjob mit meinen eigenen Projekten war es nun an der Zeit eine neue Lebensphase einzuläuten. Das Studium war erfolgreich beendet. Was möge nun an seinen Platz treten? Viele Ideen und Visionen – umso wichtiger, eine klare Ausrichtung einzuschlagen und den Fokus zu halten. Und vor allem den Weg von Freude leiten zu lassen, mit Leichtigkeit und Kraft. Denn seit vielen Jahren kann ich sagen, dass ich einen Weg des Herzens gehe. Aus dieser Mitte in mir entspringt die Inspiration und lässt mich die Intuition meine Wege gehen.

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Es kam mir nun vor, als hörte ich mein Leben durch mein Herz zu mir sprechen: „Komm, komm zurück zu mir, lass mich nicht sterben. Ich bin doch gerade erst geboren. Zelebriere mich. Ich brauche dich. Jetzt.“ Mir wurde bewusst, dass mein neuer Lebensabschnitt schon längst begonnen hatte. Wahrscheinlich nach den Ritualen, die ich in Peguche, zwei Stunden Busfahrt von Quito entfernt, am Wasserfall durchführte, als ich einige Tage allein in diesem magischen Dorf war. Hier war ich nach Ankunft in Ecuador, um mich mit den Spirits dieses mir zuvor unbekannten Landes zu verbinden und das „Gepäck“, das ich emotional mit mir trug von den Schultern zu nehmen und leichtfüßig diese Reise zu initiieren. Es hatte Wirkung gezeigt. Es ist ja selten so, dass die Intuition mit Leuchtreklame ins Bewusstsein schreibt: „es ist soweit: dieser und jener Prozess ist abgeschlossen oder neu eingetreten.“ Es passiert meist ohne, dass wir uns dessen im Moment selbst gewahr sind. Ich hätte freilich weiter hier unter meinem Baum bleiben und den Schmerz aushalten können. Ihn wegbeten. Alles war möglich. Doch ohne weiter darüber nachzudenken, folgte ich dem Ruf des Herzens. Übergangsriten wie die Visionssuche sind so kraftvoll und hilfreich darin Phasen und Prozesse abzuschließen. Als mir jedoch bewusst wurde, dass ich just einen neuen angefangen hatte, blieb kein Zweifel darüber, dass es Zeit war zurück zum Feuer zu laufen und diesen neuen Lebensabschnitt zu feiern. In Gemeinschaft.

Ich hatte zuvor die Entscheidung getroffen, dass wenn ich den Visionsberg früher verlassen würde, ich dies weder als ein Versagen sehen noch in irgendeiner Weise werten würde. Zumal die Visionssuche einen Teil meiner hiesigen Reise ausmachte, jedoch nicht die gesamte Zeit in Zurachpamba bestimmen sollte. Seit Kindesalter, besonders durch die vielen Jahre Leistungssport, Wissenshunger und Leidenschaft für so viele Dinge habe ich gelernt, sehr viel Disziplin an den Tag zu legen. Denn nur so hatte ich die Zeit, all meinen Träumen nachzugehen. Es war daher sehr heilsam, eine Sache mal nicht ganz bis zum Ende und in Perfektion abzuschließen, sondern wild zu sein und ohne drüber nachzudenken dem inneren Ruf zu folgen. Besonders im letzten Jahr hatte ich einige sehr intensive Monate des „Durchhaltens“ überstanden: teilweise 14 Stunden am Tag (und zwar für mehrere Wochen) an meiner Masterarbeit geschrieben und nebenbei meine Projekte vorbereitet. Es war nun nicht mein Moment weiter zu kämpfen. Wahrscheinlich war es deswegen, dass ich, angekommen am Feuer, eine wichtige und zukunftsorientierte Eingebung hatte. Ein neues Herzensprojekt fand seinen Weg in mein Bewusstsein. Wenn es soweit ist, werde ich es teilen.

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Die andere Seite des Mondes

Die frühere Rückkehr zum Feuer gab mir die Möglichkeit, „die andere Seite des Mondes“ zu sehen. Ich wurde Teil der HüterInnen der Visionssuche. Ich lernte in dieser kurzen Zeit viel darüber, wie für die Visionssuchenden Raum gehalten und der Schutzkreis aufrechterhalten wird. Meine Gebete waren derer gewidmet, die noch auf dem Berg waren in der Nacht. Als sich am Nachmittag zuvor ein gewaltiges Gewitter aufzutürmen drohte, trommelte ich alle HüterInnen zusammen und leitete Sonnengrüße an. Mit Blick auf den Visionsberg flossen wir durch die Vinyasas in der Hoffnung, das Gewitter würde unsere Freunde verschonen. Und ob ihr es mir glaubt oder nicht: das Gewitter zog vorüber und es sollte an diesem Nachmittag nicht regnen. Ganz im Gegenteil: die Sonne kam raus und es wurde zum wärmsten Nachmittag in meiner gesamten Zeit in Zurachpamba. Mein Wunsch erfüllte sich und wir zelebrierten dieses Geschenk des Sonnengotts Inti. Wir holten unsere Instrumente raus, setzten uns zwischen Feuer und Maloca und schrieben ein spanisches Lied für die Visionssuchenden. Wir nannten es: „El canto del buscador“ (übersetzt: „Der Gesang des Suchenden“). Ein melancholisches und träumerisches Lied über die Sehnsüchte der Visionssuchenden und der Medizin, die der Berg ihnen schenkt. Den Abend über würden wir es einstudieren und später im Temazcal Taita Juan und Sabine mit noch etwas Textunsicherheit vorsingen. In Berlin möchte ich das Lied mit Fernando aufnehmen, auf dass es weitere Visionssuchende auf ihrem Weg erreichen kann und unterstützt. Denn in dieser Ballade steckt so viel Kraft und Gemeinschaft und kann Visionssuchenden in schwierigen Momenten eine Stütze sein.

Carlina, Fernandos Schwester, Theaterschauspielerin und Sängerin. Zusammen mit ihrer Familie ist sie in einer indigenen Gemeinschaft in Peru aufgewachsen.

Carlina, Fernandos Schwester, Theaterschauspielerin und Sängerin. Zusammen mit ihrer Familie ist sie in einer indigenen Gemeinschaft in Peru aufgewachsen.

Fernando. Einer der inspirierendsten Musiker die ich kenne. Ich bestärke ihn stets mehr seiner Musik auch mit dem Rest der Welt zu teilen. Es wird kommen und die Herzen der Menschen berühren.

Fernando. Einer der inspirierendsten Musiker die ich kenne. Ich bestärke ihn stets mehr seiner Musik auch mit dem Rest der Welt zu teilen. Es wird kommen und die Herzen der Menschen berühren.

Das erste Jahr der Visionssuche ist der Demut gewidmet. Die Tradition möchte, dass der oder die Visionssuchende in Demut den Weg des Herzens geht. Für mich ist es auch der einzige Weg, um wirklich an der „Quelle“ sein zu dürfen und zu bleiben. Die Visionssuche lehrt Bescheidenheit und gibt Fülle. Sie erzwingt Demut und schenkt Stärke. Die Anden haben mir unglaublich viel Kraft gegeben, Vision und Segen und ich hoffe innig, ich kann ihnen ebenso etwas zurückgeben. Ich spüre, wie mein Herz noch demütiger und dankbarer, weicher und offener geworden ist.

Die Einsichten und vor allem die Vision, die ich von dieser Zeit und auf meinem Rückweg von meinem Baum und Ankommen am Feuer erhielt, sind sehr wertvoll für mich. Es wirkt noch nach. Verwebt sich neu mit den anderen Eindrücken und Einsichten aus den Ritualen in Zurachpamba und den anderen Orten in Ecuador. Ich komme nicht umhin, noch sehr viel mehr mit euch zu teilen. Schritt um Schritt. Es entstehen gerade neue Verknüpfungen in meinem Geist. Einige beobachte ich und andere beobachten womöglich mich. Bis zu dem Moment, in dem ich sie selbst greifen kann. Mein Herz ist weit und voller Vertrauen. Sicher ist, alles was passiert ist war Teil eines größeren Plans, wie es gewiss ja immer ist, nur bildet es sich in der rituellen Welt nahezu ikonographisch in ein Erfahrungsmosaik ab. Gebildet aus den Beobachtungen, Eingebungen und Herausforderungen und in meinem Fall der Fakt, dass mich meine Intention früher zu sich zurückgerufen hat als geplant. All dies bereichert meinen Weg, denn es entspricht meinem Weg. So geht es den anderen Visionssuchenden ebenfalls.

Ich werde erneut auf Visionssuche gehen. Vielleicht sogar in diesem Jahr? Die wilde Natur ruft mich. Ich höre es immer klarer. Dieser Ruf ist nicht neu. Die letzten Jahre kam er in Meditationen, Träumen und allgemein in der Gestaltung meines Lebensweges. Die Erfahrungen hier in den Anden haben etwas Kraftvolles in mir geweckt, was ich noch nicht ganz in Worte fassen kann. Schon bald werde ich wieder unter einem Baum sitzen und beten. Ich kann sagen, hier in den Anden eine tiefe Verbindung zum Beten kultiviert zu haben. Auch darüber würde ich gern an anderer Stelle schreiben und euch inspirieren, diesen Dogma freien Kanal zum großen Mysterium zu öffnen und die Geschenke dieses Gesprächs mit den Mächten der Natur wahrzunehmen.

Mein bescheidener Visionsplatz. Das Foto habe ich einige Tage nach der Visionssuche geschossen. Entsprechend durchwindet ist der Platz und die Gebete haben ihre Spannkraft in die Erde gegeben. Dort liegen sie nun noch. Bis in der Zukunft ein Visions…

Mein bescheidener Visionsplatz. Das Foto habe ich einige Tage nach der Visionssuche geschossen. Entsprechend durchwindet ist der Platz und die Gebete haben ihre Spannkraft in die Erde gegeben. Dort liegen sie nun noch. Bis in der Zukunft ein Visionssuchender sich für diesen Baum entscheidet und die Überbleibsel der Tabakgebete zum Feuer tragen wird.

Einladung

Meine Projekte in diesem Jahr sind bereichert von all den Erfahrungen dieser drei Wochen schamanischer Ritual Immersion und den 10 Tagen bei Taita Juan und Sabine und meiner Arbeit in den Anden Perus.
Ein Projekt in diesem Sommer beschäftigt sich besonders mit den in diesem Text beschriebenen Thematiken, Symbolen und Intentionen: am 04. Juli möchte ich mit euch in heimischer Natur eine tiefe Verbindung zur Erde und zum eigenen Lebensweg zelebrieren in einem kleinen Wasserfest. Wir werden uns dabei von Ritual, Klang und Praxis, wie ich es hier in den Anden vertiefen durfte, tragen lassen. Ich freue mich auf euch! Alle Infos dazu gibt es hier: Tagesretreat in der Natur am 11.Juli (weitere Daten folgen und werden evtl. angepasst aufgrund von Covid-19.) Bei Interesse schreibe mir eine Mail an info@alisareimer.com .


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Letzte Worte und weitere Bilder aus der Zeit

Ein Bild von Munay und mir, sie war mein physisches Krafttier während der Reise, wir waren sozusagen unzertrennlich.

Nach der einmonatigen Reise in Ecuador ging es weiter nach Peru.

Weitere Lehren und Erfahrungen der besonderen Art warteten dort in den Anden auf mich.

Ich werde meine Texte aus den Anden nach und nach veröffentlichen.

Trage dich gern in den Newsletter ein, um über neue Artikel informiert zu werden.

Que te vaya muy bien. Hasta pronto.

Alisa.

Sämtliche Photos und Text © Alisa Reimer, 2020.

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